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Tag3 2Nach dem Besuch der türkischen Schüler*innengruppe am Mulvany Berufskolleg im Dezember 2024 fand nun im Mai 2025 der lang erwartete Gegenbesuch in Izmir statt – im Rahmen des deutsch-türkischen Austauschprojekts „Together We Stand – Empowering Youth for Inclusion and Diversity“. Organisiert wurde das Projekt gemeinsam mit der Partnerschule in Karşıyaka, Izmir. Ziel war es, junge Menschen für die Themen Inklusion, Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe zu sensibilisieren – über Landesgrenzen hinweg.

Die Teilnehmenden – eine bunt gemischte Gruppe von Schüler*innen des Mulvany Berufskollegs – hatten sich intensiv auf den Besuch vorbereitet: mit Workshops, Präsentationen und interkulturellem Training. Viele waren neugierig, manche aufgeregt, einige auch etwas nervös: Wird man sich verstehen? Wie sind Schule und Alltag in Izmir? Wie ist das Leben für junge Menschen mit Behinderung in einem anderen Land?

Die Woche lieferte viele Antworten – und noch mehr Fragen, Einsichten und Impulse.

Montag, 12.05. – Ankommen in Izmir
Tag1Nach einem leicht verspäteten Flug wurden die Teilnehmenden herzlich am Flughafen Adnan Menderes empfangen. Bereits das erste Aufeinandertreffen war herzlich, offen und emotional – viele der Jugendlichen kannten sich noch vom ersten Besuch in Herne und freuten sich über das Wiedersehen.
Untergebracht war die deutsche Gruppe in einer sozialen Unterkunft des Katasteramts TAKAV – ein kurzer Weg zur Partnerschule im lebendigen Stadtteil Karşıyaka, einem modernen Viertel im Norden von Izmir. Die Orientierung am Ankunftstag – Spaziergänge entlang der Uferpromenade, durch Einkaufsstraßen und auf den Schulcampus – machte schnell klar: Hier treffen Gastfreundschaft, Lebensfreude und kulturelle Vielfalt aufeinander.
Beim Spieleabend in der Hotellobby wurde schnell deutlich, dass sprachliche Barrieren oft zweitrangig sind, wenn es um Offenheit, Respekt und gemeinsame Erfahrungen geht.
Zitat Savina (Deutschland): „Ich war total überrascht, wie schnell wir wieder miteinander lachen konnten. Es war, als wären wir nie getrennt gewesen.“
Zitat Alperen (Türkei): „Es hat sich angefühlt, als würde unsere Gruppe aus einer Sprache bestehen: Freundschaft.“

Dienstag, 13.05. – Fachlicher Austausch und historische Spuren
Nach einem aktivierenden Kennenlernspiel am Morgen widmeten sich die Gruppen in Vorträgen und Diskussionen dem Alltag von Menschen mit Behinderungen in der Türkei. Die türkischen Gastgeber*innen erklärten anschaulich, welche staatlichen Hilfen es gibt, welche Herausforderungen im Bildungssystem bestehen und wie inklusive Projekte in ihrer Stadt aussehen.
Tag2Besonders spannend war der Vergleich mit deutschen Strukturen – etwa bei Fragen der Barrierefreiheit, Integration in Schulen oder finanziellen Hilfen. Die Gespräche verliefen offen und interessiert – und mit dem ehrlichen Wunsch, voneinander zu lernen.
Am Nachmittag wurde Izmirs Geschichte lebendig: Der Besuch des historischen Aufzugs Asansör, einst gebaut, um Menschen unabhängig von sozialen Schichten mobil zu machen, machte symbolisch deutlich, worum es auch heute geht – Teilhabe ermöglichen.
Ein weiteres Highlight war die Agora von Smyrna – eine römische Ruinenstätte mitten in der modernen Großstadt. Bei 30 Grad inmitten antiker Säulen zu stehen, brachte nicht nur geschichtliche Perspektiven, sondern auch eine ganz eigene Atmosphäre.
Zitat Hüseyin (Deutschland): „Man merkt, dass Inklusion kein neues Thema ist – sondern tief mit Stadtgeschichte und Wandel zu tun hat.“
Zitat Hatice Elif (Türkei): „Ich hätte nie gedacht, dass wir so offen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprechen würden.“

Mittwoch, 14.05. – Leben mit Blindheit und politische Begegnung
Ein bewegender Höhepunkt war der Besuch bei Erkan Hoca, einem blinden Lehrer für Politik und Geschichte an der Partnerschule. Er erzählte von seinem Werdegang, seinem Alltag und seiner Motivation, Schüler*innen mit und ohne Sehbehinderung zu unterrichten.
Das Ausprobieren des Braille-Alphabets mit Tablets und Prägegeräten faszinierte viele – es war nicht nur ein Perspektivwechsel, sondern auch ein Symbol dafür, wie Technik Barrieren überwinden kann.
Am Nachmittag empfing der Bezirksbürgermeister die Gruppe im Rathaus von Karşıyaka. Das Gespräch drehte sich um kommunale Inklusionsprogramme – vom behindertengerechten Nahverkehr über Sensibilisierungskampagnen bis hin zur Einbindung junger Menschen in kommunale Entscheidungsprozesse.
Zitat Asli (Deutschland): „Erkan Hoca hat mir gezeigt, wie stark man sein kann – auch ohne zu sehen.“
Zitat Hira (Türkei): „Ich fand’s beeindruckend, dass der Bürgermeister selbst Zeit für uns hatte. Das zeigt, dass Jugend und Inklusion hier wirklich ernst genommen werden.“

Donnerstag, 15.05. – Kultur, Handwerk und Gastfreundschaft
Tag4Der Tagesausflug ins Bergdorf Şirince führte die Gruppe in eine andere Welt – abseits der Großstadt, mit Kopfsteinpflaster, weißen Häusern und einem Hauch Nostalgie. In kleinen Werkstätten und Läden probierten die Jugendlichen lokale Produkte, lernten über ökologische Landwirtschaft und über das Zusammenleben in dörflichen Gemeinschaften.
In Nazarköy, dem Dorf der Nazar-Amulette, wurde es handwerklich: Beim Besuch einer Glaswerkstatt konnten die Jugendlichen erleben, wie das berühmte „blaue Auge“ entsteht – als Schutzsymbol gegen den bösen Blick tief in der Alltagskultur verankert.
Zitat Ceylin (Deutschland): „In Şirince habe ich verstanden, wie viel Kultur mit Alltag und Respekt zu tun hat.“
Zitat Mert (Türkei): „Das war so ein schöner Kontrast zur Stadt – hier war alles langsamer, persönlicher und total herzlich.“

Freitag, 16.05. – Jugendtag und neue Perspektiven
Der Vormittag stand im Zeichen des 19. Mai – dem Atatürk-Gedenktag, an dem in der gesamten Türkei der Jugend und dem Sport gedacht wird. Die Proben an der Schule reichten von Theaterstücken über Reden bis hin zu einem beeindruckenden Auftritt des Schulchors und traditionellen Tanzdarbietungen wie dem Zeybek-Tanz, der Stolz, Würde und Mut ausdrückt.
Tag5 1Am Nachmittag wartete ein echtes Highlight: der Besuch im Örnekköy Farkındalık Merkezi, einem Zentrum für inklusive Bildung und Bewusstseinsarbeit. Hier testeten die Schüler*innen verschiedene Simulationen: Rollstuhlfahren im Straßenverkehr, überempfindliche Reizwahrnehmung bei Autismus oder Orientierung bei völliger Dunkelheit.
Die anschließende Reflexion war intensiv – viele äußerten, wie sehr sich ihre Sicht auf Barrieren und Alltagsrealitäten verändert habe.
Zitat Batuhan (Deutschland): „Ich dachte, ich wäre schon empathisch. Aber nach heute habe ich verstanden, was echte Hürden bedeuten.“
Zitat Asya (Türkei): „Nach dem Besuch im Zentrum sehe ich die Welt mit anderen Augen.“

Samstag, 17.05. – Barrieren sichtbar machen
Die methodisch anspruchsvolle Stadterkundung mit Simulationsbrillen schloss das fachliche Programm ab. In Gruppen dokumentierten die Jugendlichen, wo es Hindernisse im öffentlichen Raum gibt – und wo gute Ansätze zu erkennen sind.
Die Ergebnisse wurden in Form kleiner Reportagen, Skizzen und Social-Media-Posts dokumentiert. Der abschließende Abend bot Raum für Austausch, Lachen – und erste Abschiedstränen.
Sonntag, 18.05. – Abschied und Rückreise
Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück hieß es Koffer packen – und Abschied nehmen. Was blieb, war mehr als ein vollgestempelter Reisepass: Freundschaften, neue Blickwinkel, gestärkte Selbstwirksamkeit und der Wunsch, weiter Brücken zu bauen.

Fazit: Bildung über Grenzen hinweg
Die Woche in Izmir hat gezeigt, wie viel Potenzial in internationalem Austausch steckt – besonders, wenn Themen wie Inklusion, Vielfalt und soziale Teilhabe nicht nur theoretisch behandelt, sondern gelebt werden. Unsere Schüler*innen sind nicht nur als Gäste gereist – sie wurden Teil einer Gemeinschaft, die Vielfalt nicht als Herausforderung, sondern als Chance versteht.
Ein herzlicher Dank gilt allen Beteiligten auf beiden Seiten – sowie den Projektpartnern und Förderern.

Mit Unterstützung der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke gGmbH, kofinanziert von der Europäischen Union. Die Verantwortung für den Inhalt trägt allein die Verfasserin/der Verfasser; die Europäische Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.

Text und Fotos: Fuat Güngör und Ilka Günther